Henning von Tresckow – „Ein tragischer Held“
- Erschienen am - PresemitteilungWer an den 20. Juli 1944 denkt, hat meist das Bild von Claus Schenk Graf von Stauffenberg im Kopf. Weniger bekannt ist Henning von Tresckow, dessen Rolle beim Attentat auf Hitler aber ganz zentral ist: Er ist einer der ersten, der erkennt, dass Hitler getötet werden muss. Seine Entschlossenheit überträgt er auf seine Mitverschwörer. Heute bekommt die nach ihm benannte Straße in Potsdam, in der das MIL sitzt, ein Straßenzusatzschild. Dieses wird seine Taten würdigen. Was nicht darauf steht, ist, was er für ein Mensch war.
Auf seinem großen, dunklen Holzschreibtisch steht ein kleines Bild. Es zeigt einen barfüßigen Jungen, der in die weite Welt hinauswandert. „Dieser Junge bin ich im Grunde“, sagt Henning von Tresckow. Der Mann, der in Hitler den Erzfeind Deutschlands und der Welt sieht, hat viele Facetten: Er ist ein tiefgläubiger Christ und ein weltoffener Mensch, der gerne reist und dennoch stark verwurzelt ist in seiner Heimat in Brandenburg. Er ist ein liebevoller Familienvater, der immer zu Scherzen mit seinen Kindern aufgelegt ist und ein disziplinierter Soldat mit großem Ehr- und Pflichtgefühl. Dennoch, um es vorweg zu nehmen: Henning von Tresckow ist als Mensch schwer zu greifen.
In den Fußstapfen seiner Väter
„Henning strahlte die Welt lustig und liebenswürdig an“ und habe eine „angeborene Ritterlichkeit“, erinnert sich seine Cousine an den kleinen Henning. Er ist noch in der „alten Atmosphäre deutschen Adels“ aufgewachsen, schreibt seine Frau Erika von Tresckow in dem Buch „Ich bin der ich war“. Seinen Vater liebt und bewundert der kleine Henning über alles, und er wächst in einem fest verankerten Geschwisterkreis auf. Besonders zu seinem Bruder Gerd hat er eine tiefe Verbindung. Dieser wird ihm bei seinem Widerstandkampf beistehen bis in den Tod.
Auf den ersten Blick ist Henning von Tresckow ein typischer Vertreter protestantischen, preußisch-märkischen Adels. 600 Jahre Familiengeschichte haben viele Generäle hervorgebracht. Henning von Tresckow folgt dieser Tradition. Er kann seine Eltern davon überzeugen, sich freiwillig zu melden und kämpft als 17-Jähriger an der Westfront. Nach dem Krieg allerdings schlägt er, anders als viele Militärs dieser Zeit, einen ungewöhnlichen Weg ein: Er arbeitete als Banklehre, studiert Jura und arbeitet als Börsenmakler. In dieser Zeit macht er ein kleines Vermögen, mit dem er seinen Familiensitz rettet.
Später entschließt er sich zum Militär zurück zu gehen. Nicht alle können diesen Schritt verstehen, stehen ihm doch beste Zukunftsaussichten bevor. „Henning sah seinen Weg unbeirrbar vor sich, und er glaubte, seine Gaben und Talente (…) besser für den Dienst am Vaterland nutzen zu können als auf dem Weg des mehr zweckgebundenen persönlichen Berufserfolges“, erzählt Erika von Tresckow, der diese Entschlossenheit imponierte. Weil Offiziere zu der Zeit aber erst mit 27 Jahren heiraten durften, heiratet der 25-Jährige seine Erika sozusagen über Nacht. Oft erzählte er ihr, was er dachte, als er sie das erste Mal sah: „Die oder keine.“ Die beiden bekommen vier Kinder.
„In diesem Mann steckte ein fröhliches Kinderherz“
Sein „spitzbübisches Lachen“ ist die erste Erinnerung seiner Tochter Uta von Aretin. Am Wochenende ist Familie von Tresckow stets fröhlich mit dem Rad oder zu Fuß unterwegs an den Seen des Havel oder im Grunewald. „Wie konnte es anders sein, als dass Henning mit seinem frohen Kinderherzen der beste Kamerad seiner Kinder war“, erzählt Erika von Tresckow. „Sie haben wohl kaum je ein böses Wort von ihm gehört, aber viele Späße und ein liebevoll intensives Eingehen auf ihre Wünsche und Interessen.“ Weihnachten lässt sich von Tresckow nie nehmen, die Geschenke selbst zu besorgen und schwelgte dann – das Kind im Manne – im Spielzeughaus.
Viele Aussagen seiner von ihm befehligten Männer spiegeln dieses einnehmende Wesen von Tresckows wider. So erinnert sich einer: „Alle Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften hingen an ihm wie an einem Vater.“ Selbst zwei Ukrainerinnen, die von Tresckow an der Front für die Gartenarbeit im heimischen Potsdam aussucht, sprechen nur Gutes über ihn. Als die Gestapo später von Tresckows Grab schändet, sind es die beiden, die es trotz eines Verbotes mit Tannengrün belegen.
„In diesem Mann mit der grossen Selbstdisziplin und Willenskraft steckte ein starkes, fröhliches Kinderherz. (…) Wir, die wir ihm am nächsten standen und in seiner Liebe geborgen waren, wissen am besten, wie unerschöpflich seine warme und helfende Herzlichkeit war“, schreibt Erika von Tresckow. Vielleicht mag diese Liebe der Grund gewesen sein, weshalb er die inneren Kämpfe, die er führen muss, für sich behält. Erst 1943 erzählt er seiner Frau von seinem Doppelleben.
Der Mann, der Hitler töten wollte
„Leiste das, was der Augenblick verlangt, ohne Rücksicht auf Sentimentalität oder Bequemlichkeit“, schreibt der junge Henning von Tresckow am 5. August 1920 in sein Tagebuch. Zu dieser Zeit weiß er sicher noch nicht, wie sehr ihn dieser Satz noch auf die Probe stellen wird.
Anfangs ist er – wie viele seiner Zeitgenossen – für Hitler. Aber von Tresckow ist einer der ersten im Militär, der die verbrecherische Natur des Nationalsozialismus durchschaut. Das Attentat am 20. Juli 1944 ist nicht sein erster Versuch, Hitler zu töten.
„Das Attentat muss erfolgen (…). Sollte es nicht gelingen, so muss trotzdem in Berlin gehandelt werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, daß die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte unter Einsatz des Lebens den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig.“
Henning von Tresckow in einem Brief an Stauffenberg
Seit Beginn des Krieges führt von Tresckow dieses Doppelleben. „Mit unermüdlichem Fleiß wurde er den immer schwieriger werdenden militärischen Aufgaben gerecht. Daneben ließ er keinen Augenblick das andere Ziel aus dem Auge und trieb in zäher Kleinarbeit die Dinge der Widerstandskräfte voran. (…) Er versuchte abzuschwächen, auszugleichen, hinzuhalten; jeder Auftrag, der sinnloses Blutvergießen erfordern musste, kostete ihn schlaflose Nächte“, erzählt Erika von Tresckow. Telefonieren ist für den Widerstand nicht möglich. So oft er kann, fährt er nach Berlin. Oftmals geht er zu Fuß, knüpft Kontakte, verbindet diese miteinander. Es ist mühsam, immer wieder gibt es Rückschläge durch Verhaftungen. Aber für ihn gibt es keine Zweifel mehr, seine Entschlossenheit überträgt er auf seine Mitstreiter. Und am 20. Juli deponiert Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg die Bombe unter dem Tisch, über den Hitler gebeugt ist.
Henning von Tresckow – ein vergessener Held?
„Für mich war er immer ein tragischer Held“, erzählt Felicitas von Aretin. Selbst für die Historikerin, Autorin und Enkelin von Tresckows ist es schwer, sich ein Bild von ihrem Großvater zu machen. „Ich stelle mir ihn als zerrissenen Menschen vor. Auf der einen Seite hat er als Generalmajor viel gesehen und gelenkt im Krieg, auf der anderen Seite war er bereits früh im Widerstand gegen das Regime.“
„Aber ich bin nun verflucht zu einem doppelten Amt“
Henning von Tresckow in einem Brief an seine Frau
Was hat Henning von Tresckow dazu bewogen, sein Gewissen höher zu stellen als den Gehorsam? Was machte ihn zu einem entschlossenen Gegner der Nationalsozialisten? Wie konnte er dieses ambivalente Leben so lange ertragen? Wer war der Henning von Tresckow in seiner Gesamtheit als Mensch? Diese Fragen sind und bleiben unbeantwortet. Die Antwort darauf starb am 21. Juli 1944, als er sich an der Front mit einer Handgranate selbst das Leben nimmt. Seinen Tod lässt von Tresckow wie einen Partisanenangriff aussehen, um seine Familie und seine Kameraden vor den Vergeltungsversuchen der Nazis zu schützen. Vielleicht ist das mit das tragischste an der Geschichte, das ihm das nicht gelingt. Dennoch zeigt seine Geschichte vor den Augen der Welt und für die nachfolgenden Generationen bis heute: Widerstand gegen Hitler war möglich und es war eine zentrale Frage des Gewissens.
Ich bin, der ich war, ich bleib, der ich bin, in dunklen und hellen Stunden
Henning von Treskow auf der letzten Seite seines Tagebuches
Links: Henning von Tresckow: Ich bin, der ich war. Texte und Dokumente, erschienen im Lukas Verlag https://www.lukasverlag.com/ebooks/titel/161-henning-von-tresckow.html