„Wir haben keine Zeit für Schulterklopfer“
Minister Guido Beermann im Interview zur Halbzeitbilanz
- Erschienen am - PresemitteilungEs ist Halbzeit für die Brandenburgische Landesregierung. Ein guter Zeitpunkt, genauer auf die einzelnen Ressorts zu schauen. Die Arbeit der Regierung stand die letzten beiden Jahre ganz im Zeichen der Pandemie. Dennoch fällt die Bilanz des MIL positiv aus, wie Minister Guido Beermann im Interview erzählt.
Online-Redaktion des MIL: „Halbzeit“ – Mit welchen Gefühlen gehen Sie in die „Kabine“ und was gibt es dort zu besprechen?
Minister Guido Beermann: Die Koalition ist 2019 angetreten, um mit erneuerter Kraft Brandenburg zur Gewinnerregion des 21. Jahrhunderts zu machen. In den vergangenen zweieinhalb Jahren haben wir viel erreicht. Es ist gelungen, in schwierigen Zeiten in allen Bereichen ein sehr hohes Niveau zu halten und sogar teilweise zu steigern, sei es in der Wohnraumförderung, der Städtebau- und Planungsförderung und in den Investitionen in die Mobilität. Wir haben zudem neue Instrumente wie zum Beispiel die Ausbildung zum Smart City Manager oder den Wohnungsbeobachtungsbericht entwickelt und wichtige Strategie- und Richtungswechsel eingeleitet. Insofern fällt die Bilanz positiv aus.
Aber nicht zuletzt aufgrund der Pandemie und des Ukraine-Krieges stehen wir vor stark veränderten Rahmenbedingungen. In der zweiten Halbzeit ist der volle Einsatz weiter gefordert. Wir haben keine Zeit für Schulterklopfer. Ich denke, dass nun mehr denn je konstruktive Zusammenarbeit und gemeinsames Priorisieren entscheidend sind.
Ihre bisherige Regierungszeit war komplett unter Pandemiebedingungen. Aus welchem Blickwinkel betrachten Sie das?
Die Pandemie war und ist ein Stresstest für unsere Gesellschaft. Corona hat viele Menschen, die Kommunen oder die Unternehmen des ÖPNV hart getroffen. Wir haben deshalb in Kraftakten schnelle Hilfsmaßnahmen eingeleitet: zum Beispiel einen leichteren Zugang zu Wohngeld oder den Corona-Rettungsschirm des ÖPNV gemeinsam mit dem Bund. Ich habe immer wieder betont, dass es vor allem in Krisenzeiten ein wichtiges Signal ist, die Bereiche Mobilität und Infrastruktur, Wohnen und Bauen sowie Landesplanung zu stärken. Zum einen federt diese antizyklische Herangehensweise viele negative Effekte einer Krise ab. Zum anderen investieren wir in unseren Bereichen in etwas, was in einer Krise und danach dringend gebraucht wird: infrastrukturelle Lebensqualität.
Brandenburg ist – so das Bundesamt für Bevölkerungsforschung – die beliebteste Zuzugsregion in Deutschland. Kann das Land mit dem anhaltenden Boom fertig werden, zum Beispiel beim Thema Wohnen?
Dieser Boom überrascht mich nicht. Brandenburg ist ein tolles Land, vom direkten Berliner Umland hin zu den Städten der zweiten Reihe bis in die ländlich geprägten Gebiete. Ich plädiere immer wieder dafür, dass dieses Wachstum als Entwicklungschance gesehen wird, sei es der Zuzug von Menschen oder wirtschaftliche Ansiedlungen wie die von Tesla, die wir infrastrukturell begleitet haben.
Im Hinblick auf den Wohnungsmarkt ist Brandenburg gut aufgestellt. Das zeigt der von uns erstmals initiierte Wohnungsmarktbeobachtungsbericht. Unsere Wohnungsbauoffensive, die wir über zwei Jahre auf hohem Niveau geführt haben, hat sicherlich ihren Teil dazu beigetragen. 2021 hat das MIL rund 140 Millionen Euro für Maßnahmen der sozialen Wohnraumförderung zugesagt. Auch das Investitionsklima ist hervorragend. Gerade hat das Amt für Statistik Berlin und Brandenburg neue Zahlen zu Baugenehmigungen herausgegeben, die einen Gesamtanstieg von 16 Prozent, bei Mehrfamilienhäusern sogar von 38 Prozent zeigen. Unser Land kann also mit dem Boom nicht nur mithalten, es profitiert davon.
Genehmigungen ist ein gutes Stichwort. Ein Kritikpunkt, der in der Vergangenheit immer wieder zu hören war, ist, dass das Bauen und die Planung durch die gesetzlichen Rahmenbedingungen erschwert wird. Das war deshalb auch ein Punkt im Koalitionsvertrag. Wie ist der jetzige Stand?
Das war eine der ersten Änderungen, die wir vorgenommen haben. Die Novellierung der Bauordnung und Baugebührenordnung kommt allen Brandenburgerinnen und Brandenburgern zu Gute, weil schneller, einfacher und nachhaltiger gebaut werden kann. Zum Beispiel wird der Wohnungsbau durch sogenannte Typengenehmigungen vereinfacht. Zudem lässt sich nun leichter mit Holz bauen, einem Rohstoff, der keine „graue“ Energie verbraucht. Außerdem kann das Mobilfunknetz und die Ladeinfrastruktur schneller ausgebaut werden. Brandenburg hat jetzt eine zukunftsfähige Bauordnung.
Außerdem haben wir die Planungsförderrichtlinie erarbeitet, mit der wir die brandenburgischen Kommunen bei Planungen für neue Wohnungen, wirtschaftliche Ansiedlungen sowie Verkehrs- und Klimaschutzprojekte unterstützen. Diese ist ein voller Erfolg. Aufgrund der großen Nachfrage haben wir die Mittel weiter aufgestockt.
Die Städte und Kommunen zu unterstützen, ist eine der Hauptaufgaben des Ministeriums für Infrastruktur und Landesplanung. Was haben Sie in diesem Bereich in den letzten beiden Jahren erreicht?
Das ist sicher ein Bereich, den man nicht nur punktuell betrachten kann. Ich war im letzten Jahr bei einer Veranstaltung in Cottbus, bei der es um das Jubiläum „50 Jahre Städtebauförderung“ ging. Für Brandenburg sprechen wir natürlich von rund 30 Jahren. In dieser Zeit hat das Land mit dem Bund gemeinsam über drei Milliarden in die Städtebauförderung gesteckt. Eine unglaubliche Zahl, die wie kaum eine andere sichtbar ist. Die Städte heute haben mit den Städten vor 30 Jahren wenig zu tun. Jede Stadtentwicklung für sich ist eine Erfolgsgeschichte, von Brandenburg an der Havel bis Frankfurt an der Oder, von Prenzlau bis Bad Liebenwerda. Und ich merke in den Gesprächen mit den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern und den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort, wie wichtig und wie zielführend diese Programme sind. Deshalb sind die rund 90 Millionen Euro aus Bundes- und Landesmitteln und weiteren gut 22 Millionen Euro aus EFRE-Mitteln in diesem Jahr und die 98 Millionen aus dem letzten Jahr sehr gut angelegt. Öffentliche Gebäude und Plätze, Kitas und Schulen, Spielplätze, Parks, Sportstätten oder Denkmale – das alles sind nachhaltige Investitionen.
Ist die Rolle des Ministeriums in der Stadtentwicklung vor allem die eines Geldgebers oder wie sehen Sie Ihre Rolle dort?
Natürlich sind strategische Investitionen ein ganz wesentlicher Teil. Unsere Rolle ist aber weit mehr als die eines Geldgebers, auch wenn wir uns natürlich nicht in die kommunale Selbstverwaltung einmischen. Das ist nicht unsere Aufgabe und das können die Menschen vor Ort auch besser. Aber wir begleiten die Städte auf ihrem Weg in die Zukunft, stecken den Rahmen und geben Impulse. Betrachtet man die Stadtentwicklung, befinden wir uns an einem Punkt, an dem sich die bisherige Linie der Sanierung der Städte viel mehr in Richtung funktioneller Stadtentwicklung hinbewegt. Da geht es um Fragen wie: Wie gehen die Städte mit dem Klimawandel und seinen Folgen um? Wie können die Städte die Digitalisierung nutzen? Diese Themen rücken wir nicht nur mit unserer neuen Stadtentwicklungsstrategie mehr in den Fokus. Wir haben auch Impulse gesetzt wie zum Beispiel das Projekt „Meine Stadt der Zukunft“ und die Ausbildung von Smart City Managerinnen und Managern.
Bei den acht Modellvorhaben von „Meine Stadt der Zukunft“ wird ganz bewusst nicht in Materielles investiert, sondern in Ideen, in die Innovation, die in den Köpfen der Brandenburgerinnen und Brandenburger steckt. Es geht darum, wie ein zukünftiges Zusammenleben in Städten aussieht. Neben den Ideen geht es dabei auch um Wissenstransfer zwischen den Kommunen. Aus meiner langen Erfahrung weiß ich, was interkommunale und grenzüberschreitende Projekte leisten können. Unsere Ausbildung zum Smart City Manager ist ebenfalls ein neuer Impuls, der bundesweit Vorbildcharakter hat. Wir lassen dieses Projekt wissenschaftlich begleiten. Am Ende dieses Jahres werden die bis dahin 45 Smart City Managerinnen und Manager die Digitalisierung in den Kommunen vorantreiben.
Das Thema Stadtentwicklung und Wohnen begeistert Sie, oder?
Ja, das sind spannende Themen. Ich bin natürlich von meiner Erfahrung her als Experte im Bereich Mobilität und Verkehr in das Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung gekommen, bin aber in den anderen Bereichen des Ministeriums sehr schnell angekommen. Das lag auch an den vielen motivierten und engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die diese neuen Ideen und Richtungswechsel mitgetragen haben. Bei diesen aber auch bei allen anderen möchte ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken.
Ihre Meinung als Experte und Verkehrsminister zu Mobilität in Brandenburg. Einfach und direkt gefragt: Wie steht es um die Verkehrswende?
Ich denke, dass das vielen in der Form noch nicht bewusst ist, aber wir stecken mittendrin in der Verkehrswende und wir haben gerade in den letzten beiden Jahren das Tempo angezogen. Sie müssen sich nur die Gesamtzahlen ansehen: Für den ÖPNV stand 2021 mit rund 540 Millionen Euro der mit Abstand größte Teil unseres Haushalts zur Verfügung, mit denen wir die Verkehrswende in Brandenburg vorangetrieben haben. Zum Beispiel haben wir damit den Ausbau der elektrifizierten Strecke Berlin-Angermünde-Stettin mit 50 Millionen Euro gefördert. Die Liste an Beispielen ist lang. Nehmen wir nur mal i2030. Das ist eines der größten Schieneninfrastrukturprojekte in Deutschland. Gemeinsam mit dem Land Berlin, der Bahn und dem VBB arbeiten wir daran, die Schiene in acht Korridoren zu erweitern. Es geht um den Ausbau von 180 Kilometern Schiene sowie 99 neue, ertüchtigte und reaktivierte Bahnhöfe. Das sind beachtliche Zahlen. Und auch wenn der Name i2030 in die Zukunft gerichtet ist, die Weichen werden sozusagen jetzt gestellt und es gibt auch jetzt schon konkrete Verbesserungen, zum Beispiel mehr Plätze im RE1 durch erweiterte Bahnsteige und Züge, die Heidekrautbahn fährt jetzt schon mit Wasserstoff und wird bis 2024 bis Wilhelmsruh fahren.
Sie können sich auch andere Beispiele suchen, die zeigen, dass wir mittendrin sind. Nehmen Sie das Erfolgsmodell der Plusbusse. Von denen fördern wir durch die neuen Förderungen der jüngsten Zeit mittlerweile 33. Bei einem weiteren Projekt, das mir sofort in den Kopf kommt, geht es um Wasserstoffbusse und –Tankstellen. In einem Pilotprojekt fördern wir mit EU-Mitteln gerade sechs Wasserstoffbusse, um die Machbarkeit in der Fläche zu testen. Ich bin sicher, dass wir das in Zukunft auch bei den von uns geförderten Plusbussen sehen werden.
Was ist mit dem Trend hin zum Fahrrad?
Ich würde das nicht einmal mehr als Trend bezeichnen. Ich habe immer betont, dass das Fahrrad längst aus der Ideologiezone raus ist. Deshalb fördern wir den Radverkehr auch mit Rekordinvestitionen. Über die verschiedenen Programme hat mein Ministerium in 2021 30 Millionen Euro für den Radverkehr eingesetzt, so viel wie nie zuvor. Mit dem neuen Bundesprogramm „Stadt und Land“ stehen für drei Jahre zusätzlich 30 Millionen Euro zur Verfügung. Wir haben im Radverkehrsnetz wichtige Abschnitte gebaut und bestehende Lücken geschlossen, wie zum Beispiel beim Radweg in Saarmund, wo das Netz nun wichtige Orte in Potsdam-Mittelmark verbindet. Darüber hinaus haben wir Lastenräder mit rund 600.000 Euro gefördert. Damit werden pro Jahr über eine Million Kraftfahrzeugkilometer eingespart – Jahr für Jahr. Das Fahrrad ist längst über seine Nutzung als Fortbewegungsmittel für die Freizeit hinausgewachsen und mittlerweile fester Bestandteil unserer Alltagsmobilität.
Sie haben eingangs gesagt, dass das vielen nicht bewusst ist, dass wir mitten in der Verkehrswende stecken. Was meinten sie damit?
Das Thema ist heiß diskutiert, nach meinem Geschmack manchmal etwas zu emotional. Es geht nicht darum, die verschiedenen Mobilitätformen gegeneinander auszuspielen. Es geht nicht – plakativ gesprochen – um Radweg versus Ortsdurchfahrt. Vielmehr ist gerade in einem Flächenland wie Brandenburg – wir sind ja das fünftgrößte Bundesland – die Intermodalität der Mobilität und der Mobilitätsmix von zentraler Bedeutung für das Gelingen der Verkehrswende. Es ist wichtig, zu begreifen, dass Verkehrswende nicht gleich Verkehrswende ist. Eine Verkehrswende in Berlin ist eine andere als die in einem Land wie Brandenburg. Wir müssen viel mehr in Möglichkeiten denken, wie verschiedene Mobilitätsformen kombiniert werden können.
Das bedeutet, dass Sie die Straßeninfrastruktur nicht vernachlässigt haben?
Vielleicht entsteht bei den gerade erwähnten Zahlen und Beispielen der Eindruck, dass die Straßeninfrastruktur verschwindet oder in einer gefährlichen Weise vernachlässigt wird. Das ist natürlich nicht so. Im Gegenteil. Wo fahren dann die Busse und wie holt die Müllabfuhr den Müll ab? Der Bedarf von Kommunen und Bürgerinnen und Bürgern an funktionierenden Ortsdurchfahrten, Ortumfahrungen und wichtigen Verbindungsstraßen ist natürlich weiter vorhanden. Es ist unsere Aufgabe, gemeinsam mit unserem Landesbetrieb Straßenwesen und den Straßenwärterinnen und Straßenwärtern, dieses Netz zu erhalten. Gerade hatten wir hierzu eine Pressekonferenz (Link Meldung), in der wir geschildert haben, wie gewissenhaft und intensiv wir uns um diese Infrastruktur kümmern.
Eingangs sagten Sie, die zweite Halbzeit fordert weiter den vollen Einsatz. Wie kann diese zu einem Erfolg werden?
Wir haben unter den schwierigen Bedingungen einer Pandemie gezeigt, dass wir alle gemeinsam die Mentalität des Anpackens genauso wie kluges, vorausschauendes Planen mitbringen. Es gilt, das fortzuführen. Wichtig ist dabei, dass wir wichtige Entwicklungslinien nicht durch einen allzu einschneidenden Sparkurs abreißen lassen. Dass wir sparsamer haushalten müssen, ist absehbar. Umso wichtiger ist es, Investitionen weiter nachhaltig zu gestalten, weiter daran zu arbeiten, Prozesse zu beschleunigen und weiter konstruktiv mit Partnern und Akteuren zusammenzuarbeiten, wie wir das mit den Kommunen oder in den von uns geschaffenen Netzwerken wie dem neuen Klimabündnis Stadtentwicklung tun. Mit einem Auge sehe ich mit viel Ernst auf die zweite Halbzeit, mit dem anderen – und das ist sehr wichtig – positiv. Warum? Brandenburg ist ein großartiges Land, in dem die Menschen gerne leben und in das gerne investiert wird. Ich denke, dass mein Ministerium deshalb weiter als Motor wichtiger Entwicklungen agieren kann und wird.